Was ist ein Adultismus?
Als ich mit den Recherchen für diesen Artikel begann, gab es zu dem Wort „Adultismus“ nicht einmal einen Wikipedia-Artikel. Mittlerweile gibt es einen solchen Artikel und laut eben diesem Artikel bezeichnet ein Adultismus „Vorurteile gegenüber einer Person oder einer Personengruppe aus Gründen des geringeren Alters, aber auch Strukturen, die eine Diskriminierung jüngerer Menschen produzieren und aufrechterhalten“.
Die Autorin und Pädagogin Susanne Mierau zählt das Wort Adultismus zu den wichtigen neuen Begriffen, die Eltern heutzutage kennen sollten. Sie definiert Adultismus in ihrem neuesten Buch „New Moms for Rebel Girls“* (sehr lesenswert im Übrigen, aus so vielen Gründen) wie folgt:
„ein Begriff für die systematische Diskrimierung von Kindern und Jugendlichen durch Erwachsene aufgrund ihrer Vorurteile gegenüber Kindern und Jugendlichen aufgrund deren Alter und Entwicklungsstand.“
Susanne Mierau, „New Moms for Rebel Girls“
Wer sich einmal mit dem Thema Adultismus beschäftigt, wird sehen, dass unsere Gesellschaft voll von Adultismen ist: Kinder werden strukturell benachteiligt und diskriminiert.
Kinderdiskriminierung in der Corona-Krise
Adultismen gab es natürlich auch schon vor der Corona-Krise, die Krise hat das Ganze aber noch einmal deutlich verstärkt. Luftfilter an Schulen? Es ist doch umstritten, ob die wirklich was bringen und der Antrag, den die Schulen dafür stellen müssen, ist mit hohen bürokratischen Hürden versehen. Luftfilter im Bundestag / Landestag? Sofort installiert. Schon komisch, oder?
Ganz oft habe ich im Verlauf dieser Pandemie das zum Zusammenhalt auffordernde Wort „Generationenvertrag“ gehört. Die Jüngeren sollen verzichten, um die Älteren zu schützen. Zuletzt kehrte sich die Diskussion dann um, dass dieser Generationenvertrag nun sehr einseitig verwendet würde: ein Großteil der Älteren und von Corona-gefährdeten (also vermehrt ü60 / ü70 und aufwärts) ist nun geimpft und geboostert, also stellt die Pandemie für sie keine große Gefahr mehr dar und sie drängten ins Leben vor Corona zurück: Restaurant-Besuche, Konzerte, Shopping etc.
Das alles passierte, während unsere Kinder in Schule und Kita gefühlt kaum geschützt waren und es für die unter 5-Jährigen noch nicht einmal einen in der EU zugelassenen Impfstoff gibt. Zwei meiner Kinder sind unter 5, im Übrigen.
Altersdiskrimierung vs. Adultismus
Kennt ihr den Film „Der seltsame Fall des Benjamin Button“? Eine Frage, die ich mir kürzlich gestellt habe aufgrund der zahlreichen Adultismen: Braucht unsere Gesellschaft mehr Benjamin Buttons? Oder kehrt sich das Ganze dann um bzw. verstärkt sich dadurch die Altersdiskriminierung?
Vor ein paar Wochen las ich einen Artikel, dass Unternehmen wie IBM versuchen, ältere Mitarbeiter gezielt loszuwerden – auch wenn diese Unternehmen das natürlich abstreiten. Aber die Altersdiskriminierung steht dennoch im Raum.
Ist Adultismus fehlender Respekt?
Auch wenn Erwachsene sich von ihren Eltern noch immer „wie ein Kind“ behandelt fühlen, bemängeln sie doch letzten Endes oft fehlenden Respekt und Wertschätzung, den ihre Eltern gegenüber ihrem eigenen Leben haben. Verstärkt wird das natürlich, wenn diese Erwachsenen eigene Kinder haben und die eigenen Eltern zu Großeltern werden.
Natürlich kann man argumentieren, dass die Eltern es ja „nur gut meinen“ und ihr/e Kind/er vor Fehlern, Enttäuschung, Schmerz usw. bewahren möchten. Aber am Ende braucht es doch oft genug Irrwege im Leben, um den richtigen Weg finden zu können. Daher hilft das Argument des „nur gut meinen“ aus meiner Sicht nicht. Auch wenn Eltern die Entscheidungen ihrer (älteren oder bereits erwachsenen) Kinder nicht nachvollziehen können, sollten sie sie doch zumindest respektieren.
Wie viele Menschen haben eine Entscheidung getroffen und z.B. ein Studium oder eine Ausbildung gewählt, weil sie dazu von ihren Eltern gedrängt wurden? Nur um dann festzustellen, dass sie damit vielleicht ihre Eltern glücklich machen, sich selbst aber nicht? Es braucht also stets Wertschätzung und Respekt, wie ich finde.
Aussagen, die einen Adultismus beinhalten: meine Top5:
Adultismen beginnen in unserer Gesellschaft aber auch schon im Kleinen und in vielen Aussagen und Sprüchen, die wir oft ganz nebenbei und alltäglich verwenden. Meine Top5 dieser Aussagen findet ihr hier:
„Du bist doch schon zu groß dafür.“

Warum ich diesen Spruch für einen Adultismus halte?
Wofür sind meine Kinder zu groß – außer für ihre Anziehsachen, die ihnen definitiv nicht mehr passen?
Sie durften und dürfen selbst entscheiden, wie lange sie Schnuller, Windel, Brust und unsere Nähe im Familienbett brauchen und wann sie sich groß genug dafür fühlen, um darauf verzichten zu können.
Wir schreiben unseren Kindern nicht vor, wann sie groß und vernünftig zu sein haben.
Besonders schwer fiel es mir diesen Spruch nicht zu verwenden, nachdem sie ein neues Geschwisterkind bekommen hatten. Als mir die älteren Geschwister gegenüber dem Neugeborenen wirklich riesig groß vor kamen. Und doch waren sie immer noch ziemlich kleine Kinder- die auch noch sehr viel Liebe benötigen und einige wichtige Bedürfnisse haben. 😍
„Das ist doch kindisch.“

Kinder sind keine kleinen Erwachsenen, das kann man nicht oft genug sagen. Warum erwarten wir dann doch immer wieder von ihnen, dass sie sich so verhalten? Und wenn sie es nicht tun, benehmen sie sich „kindisch“..?
Und warum eigentlich ist das Wort kindisch so negativ konnotiert, während es gleichzeitig eines der größten Ideale unserer Gesellschaft ist, eine „glückliche Kindheit“ (gehabt) zu haben?
Auch hier handelt es sich wieder um einen Adultismus: wenn wir Erwachsenen meinen, dass wir es besser wissen, wie ein Kind zu handeln hat als das Kind selbst.
Warum können wir die Kinder nicht einfach Kinder sein lassen? Groß und erwachsen werden sie doch am Ende sowieso viiiiel zu schnell…
Wie wäre es, wenn wir unsere Kinder einfach mal Kinder sein lassen, ohne ständig an ihnen herumzu(er)ziehen und ihnen die viel beschwörte unbeschwerte und glückliche Kindheit gönnen, soweit wir sie ihnen ermöglichen können?
„Ich habe geschlafen wie ein Baby.“

Das ist auch so eine dieser Aussagen, die ich nicht mehr hören kann – und aus meiner Sicht ebenfalls ein Adultismus. Was heißt das denn überhaupt? Ich gehe davon aus, dass Babys tief und fest und friedlich schlafen und genauso habe ich dementsprechend auch geschlafen.
Bevor ich Kinder hatte, dachte ich auch tatsächlich, dass das der Fall ist: Babys schlafen eben sprichwörtlich „wie ein Baby“. Mag sein, dass es Babys gibt, die schon sehr schnell die Nacht „durchschlafen“ (wie auch immer man Durchschlafen in diesem Fall definiert).
Meine Kinder haben jedenfalls nie dazu gehört und tun das größtenteils bis heute nicht. Das ist auch okay, weil es nicht mein Anspruch ist, dass sie durchschlafen. Was natürlich nicht heißt, dass ich mich nicht über eine ruhige Nacht freuen würde.
Ich weiß nur mittlerweile, dass die Erwartungen, die ich vor und auch noch während meiner ersten Schwangerschaft hatte, in vielerlei Hinsicht naiv und unrealistisch waren.
Warum also schüren wir mit Aussagen wie diesen die Erwartungen naiver Eltern, dass alle Babys tief und friedlich schlafen?
Ich finde, hier bedarf es noch so viel Aufklärung, dass die meisten Babys eben nicht durchschlafen und häufig wach werden und dass es dafür gute und wichtige Gründe gibt.
„Du bist ja noch ein Baby und ich bin viel größer als du.“

Auch Kinder verwenden Adultismen, wenn wir es ihnen vorleben.
Das Zitat von oben habe ich auf dem Spielplatz gehört: ein Kind steht oben auf dem Klettergerüst, ein anderes, etwas kleineres Kind bemüht sich hoch zu klettern, scheitert aber an den zu großen Abständen bei der Kletterwand.
In unserer Leistungs-Gesellschaft sind die Grundsätze „höher, schneller, weiter“ weit verbreitet und auch unsere Kinder werden viel zu schnell zum Vergleichen, Abwerten bzw. sich selbst Aufwerten angetrieben:
Wenn das andere Kind es nicht aufs Klettergerüst schafft, ich aber schon, dann bin ich besser / geschickter / älter / größer.
Was hilft dagegen? Ich glaube, im Alltag tut es gut, wenn wir öfter darauf schauen, wie wir mit unseren Kindern reden. Sagen wir häufig „Das kannst du noch nicht.“ oder „Dafür bist du noch zu klein“ – oder wie im Beispiel oben „Dafür bist du schon zu groß“?
Damit stärken wir das Machtgefälle von Groß zu Klein und reden unsere Kinder selbst klein – die dieses Gefühl wiederum, um sich selbst besser zu fühlen, dann an andere kleinere Kinder oder wenn vorhanden, kleinere Geschwister weitergeben.
Was also tun?
- Manchmal hilft Verständnis: „Du würdest dir gerne selbst die Jacke anziehen, aber gerade klappt es noch nicht. Darf ich dir helfen?“
- Manchmal hilft Geduld: „Bald schaffst du es ohne Hilfe das Klettergerüst hinauf, warte ab.“
- Manchmal hilft Empathie: „Du würdest das schon gerne alleine können, ich sehe wie traurig / wütend du deswegen bist.“
- Und oft genug ist es auch eine Kombination von Verständnis, Geduld, Empathie und mehr, die am besten hilft.
Wie reagiert ihr, wenn Kinder zu so vielen Vergleichen und Be- oder Abwertungen anderer neigen?
„Sind wir denn hier im Kindergarten?“

Ich finde ja, der Kindergarten ist besser als sein Ruf. Zumindest trifft das auf unsere Kita zu – und hoffentlich auch auf die meisten anderen. Die Kinder können nach Herzenslust singen, toben, basteln, sich mit anderen Kindern anfreunden und mit ihren Freund*innen spielen.
Das alles, bevor mit der Schule der sogenannte Ernst des Lebens beginnt. Natürlich gibt es zu allem Alternativen wie Kitafrei und Freilerner. Aber meine Kinder gingen bzw. gehen durchweg gerne zur Kita. Warum also ist dieser Spruch so negativ konnotiert?
Kita-Kinder sind noch jung, oft gibt es viel Durcheinander und ich persönlich möchte auch den Beruf der Erzieher*in nicht haben, dazu fehlt mir die Geduld und die Gelassenheit im alltäglichen Wahnsinn. Gleichzeitig habe ich höchsten Respekt vor unseren Erzieher*innen und all den tollen Aktionen, die sie sich für die Kinder immer einfallen lassen.
Warum also gibt es diesen vorwurfsvollen negativen Spruch, ein Adultismus noch dazu? Ich glaube oft, unsere Gesellschaft hat verlernt, die Welt aus Kinderaugen zu sehen. Viel zu viele Menschen haben vergessen, wie schön es war, ein (Kita-)Kind zu sein und die Welt ohne Zwänge jeden Tag ein bisschen mehr entdecken zu können.
Oder spricht daraus vielleicht sogar Neid? Kita-Kinder haben viel mehr Freiheiten als Schulkinder oder gar als Erwachsene. Meine Tochter legt manchmal gerne einen Kita-Pausetag ein. Für mich als Arbeitnehmerin gibt es diese Möglichkeit so spontan nicht, ich muss trotzdem arbeiten, auch wenn ich vielleicht unmotiviert oder müde bin…
Welche Adultismen fehlen hier noch?
Gibt es noch weitere „typisch“ adultische Sprüche, die ich hier vergessen habe? Dann schreibt es mir gerne in die Kommentare.
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