Wie kann ich wertschätzend und gewaltfrei mit Kindern kommunizieren?
Anfang des Jahres habe ich ein Einführungs-Seminar zur wertschätzenden und gewaltfreien Kommunikation mit Kindern besucht. Dabei hat es sich für mich so angefühlt, als würde ich eine neue Sprache lernen. Denn obwohl die gewaltfreie Kommunikation (GfK) im Prinzip nur aus 4 einzelnen Schritten besteht, ist sie viel mehr als das.
Viel zu oft war ich zuvor gestresst und bin nicht so bedürfnisorientiert und auf Augenhöhe auf meine Kinder eingegangen, wie ich das eigentlich (im Optimalfall) tun möchte. Was ich dabei als allererstes neben den Grundsätzen der GfK auch gelernt habe: bevor ich gut für meine Kinder sorgen kann, ist es nötig, achtsam auf mich selbst zu schauen.
Wie im Flugzeug, wo man im Fall der Fälle zuerst sich selbst und dann den Sitznachbar*innen und Kindern oder Senioren die Atemmaske aufsetzen soll. Wenn ich nicht mehr atmen kann, kann ich schließlich auch niemanden mehr helfen.
Was ist die einfühlsame und gewaltfreie Kommunikation mit Kindern?
Entwickelt wurde die gewaltfreie Kommunikation von Marshall B. Rosenberg, im englischsprachigen Bereich ist sie daher unter non-violent communication bekannt. Die GfK wird unter anderem auch zum Lösen politischer Konflikte und kriegerischer Auseinandersetzungen angewendet.
Zuallererst ist die gewaltfreie Kommunikation viel mehr als eine Art zu kommunizieren. Sie ist eine Haltung – so wie die bindungs- und bedürfnisorientierte Begleitung von Kindern ebenfalls. Und es geht auch darum, dass wir uns unseren Gefühlen und Bedürfnissen bewusst werden, damit wir diese entsprechend kommunizieren können und gleichzeitig die Bedürfnisse unseres Gegenübers berücksichtigen können. Viele Bedürfnisse lassen sich dabei kindgerecht übersetzen, sodass auch Kinder sie verstehen und verwenden können.
Wenn wir ein Kind fragen wollen, ob es gerade das Bedürfnis nach Autonomie verspürt, könnten wir also fragen, ob das Kind selbst entscheiden möchte, was es tut und wie es etwas tut. Das heißt, ohne dass wir Erwachsenen dazwischen gehen oder eine Entscheidung für das Kind treffen, die nicht auf Augenhöhe erfolgt ist.
Was macht eine wertschätzende Kommunikation aus?
Wie in der Bedürfnisorientierten Erziehung geht es bei der GfK darum, wertschätzend auf Augenhöhe, gleichwertig und friedvoll mit den Menschen zu kommunizieren, egal in welchem Alter und egal in welchem Umfeld. Beurteilungen, Vorwürfe, Drohungen, Befehle, aber auch Verallgemeinerungen (ständig, immer/nie, dauernd usw.) oder Belohnungen sind dabei fehl am Platz.
Beispiele dafür:
- Beurteilung / Verurteilung: Dein Zimmer sieht aus wie ein Schweinestall!
- Vorwurf / Anschuldigung: Du hast ein riesiges Chaos in deinem Zimmer angerichtet!
- Drohung: Wenn du nicht sofort dein Zimmer aufräumst, darfst du keine Süßigkeiten mehr essen.
- Befehl: Räum sofort dein Zimmer auf!
- Verallgemeinerung: Nie räumst du dein Zimmer auf!
- Belohnung: Wenn du dein Zimmer aufräumst, darfst du danach fernsehen.
- Überredung: Mama ist ganz traurig, wenn du dein Zimmer nicht aufräumst.
- Vergleich: Deine Schwester hat ihr Zimmer schon längst aufgeräumt.
Das mag sich anfangs seltsam anhören, doch in all diesen Sätzen versuchen wir, insbesondere Kinder zu etwas zu bewegen oder zu überreden, was sie eigentlich gar nicht wollen, sei es mit Drohungen oder anhand versprochener Belohnungen.
Auch Negative, d.h. Wörter wie nein, nicht oder aber werden nach Möglichkeiten in der GfK vermieden. Statt „Renn nicht auf die Straße!“ ist es beispielsweise besser zu sagen: „Bitte bleib am Bordstein stehen!“. Mehr dazu hier:
Statt Vorwürfen oder Beleidigungen bevorzugt die Gfk neutrale Beobachtungen. Ich spreche von meiner persönlichen Beobachtung und meinem persönlichen Empfinden – also nicht „du hast“, sondern „ich sehe / denke / empfinde“.
Was sind die 4 Schritte der gewaltfreien Kommunikation mit Kindern?
Gewaltfreie Kommunikation ist wie das Lernen einer neuen Sprache, es dauert Zeit, bis man die GfK verinnerlicht hat. Es hat eine Weile gedauert, bis ich verstanden habe, dass es sinnvoll ist, auch mit mir selbst, mit meinem inneren Kritiker, gewaltfrei zu kommunizieren.
Als GfK-Einsteiger gilt es zunächst die 4 Schritte der GfK zu verinnerlichen und dementsprechend zu kommunizieren (was übrigens gar nicht so einfach ist…):
- Beobachtung: Ich sehe…
- Gefühl: Dann bin ich…
- Bedürfnis: Mir ist… wichtig.
- Bitte: Bitte… (tu mir einen Gefallen).
Wie könnte ich also das Thema Zimmer aufräumen gewaltfrei ansprechen? Ein Beispiel:
- Ich sehe, hier liegen sehr viel Spielsachen herum (neutrale Beobachtung).
- Dann bin ich besorgt, dass eine*r von uns auf die Spielsachen tritt und etwas kaputt geht oder eine*r sich verletzen könnte. (Gefühl)
- Mir ist Ordnung wichtig. (Bedürfnis)
- Bitte räum dein Zimmer auf. (Bitte)
Das Problem oder das Unbehagen, das viele Eltern dabei spüren: es handelt sich um eine Bitte, also kann mein Kind die Bitte natürlich auch ablehnen. Was kann ich tun, wenn mein Kind nein sagt? Dann habe ich ja immer noch kein aufgeräumtes Kinderzimmer. Das bringt uns zum nächsten Punkt: die Grenzen der GfK.
Welche Grenzen hat die gewaltfreie Kommunikation mit Kindern?
Die GfK lässt sich nicht in jeder Situation anwenden, vor allem nicht, wenn Gefahr im Verzug ist.
Daher gibt es natürliche Grenzen der GfK bei Gefahrensituationen wie zum Beispiel im Straßenverkehr, am Herd, beim Klettern oder ähnlichem.
Wenn ich hier eine gefährliche Situation erkenne, bei der meine Kinder verletzt werden könnten, gehe ich nicht erst die vier Schritte durch. Stattdessen rufe ich „Stop! Halt!“ oder halte mein Kind am Arm fest, bevor es auf die Straße rennt. Auch bei Geschwisterstreitigkeiten, bei denen ein Kind das andere haut, schubst, greife ich erst ein und erkläre dann.
Und was tue ich wenn mein Kind zu meiner Bitte aus dem 4-Schritte-Modell nein sagt?
In der GfK und auch in der bedürfnisorientierten Erziehung (da gibt es übrigens sehr viele Gemeinsamkeiten und daher mag ich die GfK so sehr) heißt es, dass jedes „Nein“ ein „Ja“ zu etwas anderem ist. Mein Kind hat meine Bitte zum Aufräumen abgelehnt, weil es zuerst noch sein Bedürfnis zum Spielen befriedigen möchte.
Häufig bedeutet ein „Nein“ an dieser Stelle auch eher „Jetzt noch nicht“. Also könnte ich mit meinem Kind vereinbaren, dass es noch einen bestimmten Zeitraum lang spielen kann und danach räumt es sein Zimmer auf. Oder ich könnte Hilfe anbieten und wir räumen gemeinsam auf.
Über Giraffe und Wolf: Was haben diese Tiere mit der Gfk zu tun?
Marshall B. Rosenberg hat die Giraffensprache und Wolfssprache als Kommunikationsstile identifiziert. Die Giraffe ist das Landtier mit dem größten Herz und aufgrund ihrer Körperlänge hat sie sehr viel Überblick und steht daher für die einfühlsame Verständigung untereinander. Der Wolf hingegen geht auf Angriff, sein Wesen steht daher für die „herkömmliche“ Art zu sprechen, die wir häufig seit Jahrzehnten internalisiert haben. Drohungen, Vorwürfe, Rechthabereien, Anschuldigungen und vieles mehr sind daher Teil der Wolfssprache.
Was Marshall B. Rosenberg dabei wichtig war zu betonen: Keiner ist ausschließlich Wolf oder Giraffe, sondern hat von beiden etwas in sich. Manchmal können wir nicht anders, als das auszusprechen, was uns auf der Zunge liegt, wenn wir wütend sind und wir verletzen unsere Mitmenschen vielleicht dabei. Und manchmal haben wir den Überblick der Giraffe, um in klarer und gewaltfreier Weise sagen zu können, was uns auf dem Herzen liegt und wie unser Gegenüber uns helfen könnte.
Meine Zusammenfassung: was bringt mir die gewaltfreie Kommunikation mit Kindern – und im Umgang mit allen anderen Menschen?
Das schöne an der GfK: wertschätzende Kommunikation ist nicht nur mit Kindern möglich. Wer das Konzept einmal verinnerlicht hat, kann es in allen (Konflikt-)Situationen anwenden – sei es in der Partnerschaft, der Familie, im Arbeitsleben…
Ich habe erlebt, dass die Anwendung der GfK in der Regel eine Win-Win-Situation für beide Gesprächs- oder Konfliktpartner*innen bringt. Denn wenn es nicht mehr darum geht, Recht zu bekommen, sondern beide ein gemeinsames Ziel verfolgen, erledigen sich die meisten Streitereien oft schon ganz von alleine – und auch das kann natürlich sowohl bei Kindern wie auch Erwachsenen der Fall sein.
Wo kann ich mehr über die gewaltfreie Kommunikation erfahren?

„Wenn die Giraffe mit dem Wolf tanzt – Vier Schritte zu einer einfühlsamen Kommunikation“ von Serena Rust*
Wie der Titel bereits sagt, handelt das Buch viel von den Symbolen Wolf und Giraffe und gleichzeitig auch von den 4 Schritten der gewaltfreien Kommunikation. Das Buch ist leicht zu lesen und sehr verständlich. Sehr hilfreich fand ich auch den Anhang des Buches, der noch einmal Gefühle zu erfüllten Bedürfnissen, Gefühle zu unerfüllten Bedürfnissen, Interpretations-Gefühle (Pseudo-Gefühle) sowie Bedürfnisse auflistet.
„Dich durch mein Herz sehen: Gewaltfreie Kommunikation für Eltern – Arbeitsbuch“ von Hanna Brodersen*
In diesem Workbook von Hanna Brodersen gibt es zahlreiche Aufgaben und Selbstreflexionen. Obwohl das Arbeitsbuch eine Ergänzung zum gleichnamigen Buch von Hanna Brodersen ist, lässt es sich durch kurze Einleitungen und Erläuterungen auch völlig unabhängig vom Buch durcharbeiten. Thematische Schwerpunkte sind u.a. die bedingungslose Liebe, das inneren Kind der Eltern, dem Thema Beziehung statt Erziehung, es gibt Impulse zu Familienkonferenzen und vieles mehr.
„Greta und die Giraffensprache“ von Sabine Wittemeier*
Im Kinderbuch „Greta und die Giraffensprache“ aus 2022 geht es um die Giraffe Greta, die Wolfskinder Wim und Wilma und ihre Freunde und Beziehungen zueinander. In sehr einfacher und für Kinder ab ca. 4 Jahren sehr gut nachvollziehbarer Sprache werden dort einzelne kurze Geschichten erzählt darüber, was die Tierkinder erleben, welche Gefühle sie dabei haben und wie sie ihre Streitereien und Uneinigkeiten friedlich lösen können.
Gerade ganz neu im August 2023 erschienen ist übrigens Teil 2 von „Greta und die Giraffensprache“*.
„Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens“ von Marshall B. Rosenberg*
Wer gerne direkt von Marshall B. Rosenberg selbst mehr über die Gewaltfreie Kommunikation wissen möchte, der*dem sei das Buch „Gewaltfreie Kommunikation: Eine Sprache des Lebens“ empfohlen. Marshall B. Rosenberg hat zwar noch zahlreiche weitere Bücher veröffentlicht, doch dieses Buch würde ich als Standardwerk der Gfk bezeichnen.
Wo gibt es außerdem noch Infos zur Gfk mit Kindern?
Ich bin ein Fan von Kathy Weber – und ihrem Podcast „Familie verstehen – dein Eltern-Podcast zur Gewaltfreien Kommunikation“. Kathy bietet auch zahlreiche Kurse zur Gfk an.
Was meine Kinder lieben: den Podcast „Mira und das fliegende Haus„! Mira wohnt mit ihrem Kater Kopernikus und der Maus MC Pieps im fliegenden Haus und die Podcast-Folgen von Mira handeln sowohl über das Thema Bedürfnisorientierung wie auch zu gewaltfreier Kommunikation. In regelmäßigen Abständen schaut die Giraffe Gerda, die für die Giraffensprache der Gfk steht.
Darüber hinaus gibt es zahlreiche weitere Podcasts zur GfK, es gibt viele viele Angebote von GfK Coaches, organisierte GfK Freizeiten und vieles mehr. Auch bei den Familienbildungsstätten vieler Städte, bei der örtlichen VHS oder zum Beispiel beim Forum Demokratie Düsseldorf gibt es ein großes Kursangebot zur GfK.
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