Ein Interview mit den Buchautorinnen Svenja Krämer und Hanna Meyer

[Buchvorstellung / Rezensionsexemplar] – Titelfoto: Sophie Bellmann

Das Mutterwerden ist ein Thema, das viel zu wenig beachtet wird. Auch ich habe mich als junge Mutter wenig um mich selbst und vor allem um mein Baby gekümmert. Dass diese Phase des Mutterwerdens über das Wochenbett weit hinaus geht, war mir lange nicht bewusst, bis ich über das Wort Muttertät gestolpert bin.

Die Autorinnen Svenja Krämer und Hanna Meyer haben vor kurzem ein Buch darüber geschrieben und ich durfte sie dazu interviewen:

Liebe Hanna, liebe Svenja, Euer Buch heißt „Muttertät„*. Ein spannender Titel und zugleich ein Wort, das (zumindest bisher) nicht im Duden zu finden ist. Erzählt doch mal, wie es dazu gekommen ist, dass ihr dieses Buch geschrieben habt und was Muttertät bedeutet.

Svenja und Hanna: Wir sind vor etwas über zwei Jahren und drei Jahren Mutter geworden. Wir empfanden die Zeit als sehr aufregend und wunderbar. Gleichzeitig waren wir aber über die vielen Veränderungen, die neuen Gefühle und Empfindungen und über unsere eigenen teils stark veränderten Sichtweisen sehr überrascht. Unser Leben war durch das Muttersein etwas „ver-rückt„ und mussten uns neu finden. Wir haben uns gefragt, „Wie kann es sein, dass dies so sehr an uns vorüber ging?“ Wir waren darauf nicht vorbereitet.

Daher haben wir uns mit dem Thema der Veränderungen durch das Mutterwerden und damit einhergehenden Transformationsprozessen wissenschaftlich beschäftigt und sind auf das Konzept Matrescence oder zu Deutsch Muttertät gestoßen. Matrescence ist angelehnt an Adolescence. Der Begriff soll damit beschreiben, dass eine Frau mit der Geburt durch enorme Veränderungsprozesses geht. Diese Veränderungen finden vorher zuletzt in der Pubertät statt, weshalb sich diese Begriffsanlehnung anbietet.

Ich habe das Gefühl, die Gesellschaft erlaubt es uns Müttern nicht, unzufrieden zu sein – mit unserer Mutterrolle und mit der ständigen Anwesenheit eines (oder mehreren) kleinen Wesen, für die wir permanent verantwortlich sind.

Inwieweit hilft dabei das Wissen, um die Phase der Muttertät?

Svenja und Hanna: Das gesellschaftlich gezeichnete Bild einer Mutter ist noch immer stark idealisiert. Das Wissen um die Phase der Muttertät kann Frauen helfen, ihre eigenen Empfindungen, Gedanken und mögliche ganz neue Seiten an sich selbst viel besser zu verstehen und dadurch einzuordnen. Das Wissen um diese Umbruchsphase ermöglicht es Frauen, großzügiger mit sich selbst zu sein und sich Zeit zu geben durch diese Veränderungen zu gehen.

Wenn ich euer Buch lese, stelle ich fest: mein Mutterwerden hört, gedanklich und was meine Erzählungen gegenüber Freunden oder hier im Blog angeht, bei meinen Geburtsbericht auf. Die Phase danach habe ich – über das Wochenbett hinaus – gar nicht beachtet.

Wann endet Muttertät aus eurer Sicht und wann beginnt eine neue Phase?

Beginn, Ende (und auch erlebte Intensität) der Phase der Muttertät ist so individuell wie es jede Frau selbst ist. Muttertät kann mit der sehr konkreten Auseinandersetzung über das Mutterwerden, also beispielsweise mit einem Kinderwunsch oder der Familienplanung beginnen. Bei manchen Frauen setzt es in der Schwangerschaft oder der Geburt ein. Die Dauer der Muttertät wird mit etwas zwei Jahren benannt. Muttertät wiederholt sich mit jedem Kind (dann in einer anderen Art und Weise).

Im Buch schreibt ihr darüber, dass es sich bei Schwangerschafts- und Stilldemenz tatsächlich um eine Reorganisation des Gehirns und eine Aufmerksamkeitsökonomie handelt (was ich übrigens wahnsinnig beruhigend finde).

Muttertät Buch Zitat

Wie kommt es, dass diese Gehirnveränderungen bisher so negativ betrachtet werden und es so wenig Wissen um die positiven Aspekte dieser Veränderung gibt?

Svenja und Hanna: Die Veränderungen des Gehirns sind eines der spannendsten Veränderungen auf der körperlichen Ebene durch das Mutterwerden. Das Gehirn strukturiert sich um, so dass die Frau mit der sich nun veränderten Gesamtsituation besser umgehen kann. Sie ist – neben all ihren anderen Lebensteilen – nun ebenfalls Mutter. Und darauf stellt sich das Gehirn ein und unterstützt diese Aufgabe durch eine Umstrukturierung.

Der gesellschaftliche und wissenschaftliche Fokus liegt beim Thema Familiengründung noch immer vor allem auf der Schwangerschaft und danach auf dem Baby. Die Frau rutscht relativ schnell aus dem Blickfeld. Es gibt also noch recht wenig Forschung über die Phase der Muttertät. Das ist sicher eine Erklärung dafür, warum die Informationen über bspw. die Gehirnumstrukturierungen noch recht zurückhaltend besprochen werden.

Darüber hinaus ist es eine gesellschaftliche Aufgabe, die Frau mehr in den Fokus zu rücken und den Belangen und Fragestellungen dort mehr Aufmerksamkeit zu schenken.

Gibt es Berührungspunkte zwischen Muttertät und Regretting Motherhood? Wenn ja, welche?

Svenja und Hanna: Muttertät stellt eine Veränderungsphase im Leben einer Frau dar, die mit Hochs und Tiefs einhergehen kann. Es geht darum, dass die Reise zu einer neuen Identität (nun auch als Mama) sehr viele wunderschöne Überraschungen und genauso viele herausfordernde Momente bereithalten kann. Diese chaotische Zeit ist an sich völlig normal. Sie wird von Frauen – so wie die Pubertät auch – mal intensiver und mal weniger intensiv erlebt.

Muttertät beschreibt eine Lebensphase, die vergleichsweise chaotisch ist: ohne Wertung und ohne subjektive Schlussfolgerung. Unseres Erachtens ist das ein wichtiger Unterschied zu Regretting Motherthood. Muttertät an sich sagt nichts darüber aus, ob eine Frau sich gerne in der Rolle einer Mutter sieht oder sich ihr „altes Leben“ zurück wünscht. Im Rahmen der Muttertät kann eine Frau zum Beispiel auch davon überrascht werden, wie viel Liebe sie empfinden kann.

Ebenso lässt sich Muttertät von einer postpartalen Depression oder dem Babyblues abgrenzen. Muttertät füllt unseres Erachtens den facettenreichen Raum zwischen der (allzeit glücklichen) HappyMom und einer postpartalen Depression.

Tatsächlich schreibt ihr im Buch zu ca. 95% ausschließlich über Mütter. Ist Muttertät demnach auch ein feministisches Thema?

Svenja und Hanna: Im Buch schreiben wir über Mütter, da wir zu einem Großteil auf unsere eigenen Erfahrungen zurückgreifen und unser eigenes Mutterwerden Ausgangspunkt für das Buch war. Allerdings sind wir der Meinung, dass Muttertät alle etwas angeht: Die Phase der Muttertät betrifft die gesamte Familie, das Umfeld (Freundeskreis und Arbeitsumfeld) ebenso wie die Gesellschaft. Ein leichter Start ins Leben mit Kind bzw. ins Familienleben zahlt sich langfristig nicht nur für die Individuen, sondern auch gesellschaftlich aus. Es geht also nicht nur um Mütter bei der Muttertät.

Dennoch ist Muttertät auch ein feministisches Thema. Die Veränderungen beim Mutterwerden sind viel zu wenig bekannt. Weder Mütter noch ihre Familien oder ihr Umfeld sind gut informiert über die Herausforderungen und Anforderungen an Familien in der Phase der ersten Baby- und Kleinkindjahre. Eng damit verknüpft ist das gesellschaftliche Bild über eine Mutter sowie das idealisierte Familienbild, in dem Familien und Frauen sich zurecht finden müssen.

Den massiv überhöhten Anforderungen können Mütter nicht gerecht werden: bspw. Karriere machen, permanent für das Kind geduldig und bedürfnisorientiert dazusein, beim täglichen Meditieren immer die Batterien aufzufüllen, ausreichend Paarzeit für eine ausgefüllte Beziehung, selbstgebackener Kuchen bei gleichzeitiger Kitaschließung etc. Die gesellschaftlichen Anforderungen an Mütter sind nicht realitätsnah und können daher nur zum Scheitern führen. Ein Blick in die Phase der Muttertät arbeitet diese Diskrepanz für den Prozess des Mutterwerdens heraus.

Ihr schreibt auch darüber, wie Muttertät eine Menge Veränderungen auf körperlicher, psychologischer oder spiritueller Ebene bedeutet.

Meint ihr, Muttertät ist damit auch Grund für die vielen Trennungen, die körperliche der ersten Zeit mit Kind passieren? Also dass der Partner diese Veränderungen nicht nachvollziehen kann?

Svenja und Hanna: Wir sind fest davon überzeugt, dass Wissen über die Veränderungen im Prozess des Mamawerdens dabei helfen kann, durch die extrem herausfordernde Zeit als Familie mit mehr Leichtigkeit zu steuern. Insbesondere die Veränderungen auf der psychologischen Ebene können bedeuten, dass eine Partnerin als „verändert“ wahrgenommen wird, was irritieren kann.

Aber nicht nur die Mutter, sondern auch der/die Partner*in verändert sich in dieser Zeit. Neue Identitäten entstehen und genau so müssen sich Eltern auch als Paar neu finden oder zumindest neu orientieren. Wenn das Elternpaar gut informiert ist, in welch enorm großen Veränderungsprozess sie stecken, können sie sich auch verständnisvoller begegnen.

Und um der Gleichberechtigung genüge zu tun: gibt es auch Vatertät? Unterscheidet sie sich in euren Augen von der Muttertät? Und wenn ja, wie?

Svenja und Hanna: Muttertät beschreibt den Prozess, eine Mutter zu werden. Dies umfasst Veränderungen in so ziemlich allen Lebensbereichen: ihr Körper verändert sich (sichtbar wie unsichtbar), ihre Identität ist im Wandel, oft gibt es Veränderung im beruflichen Kontext und im sozialen Gefüge. Außerdem berichten viele Mütter über Veränderungen auf einer spirituellen Ebene.

Ähnliche Veränderungen (ggfs. in geringerem Ausmaß) können auch Väter betreffen. Ihr Leben kann durch Nachwuchs einen neuen Sinn erhalten, gleichzeitig nehmen immer mehr Väter Elternzeit oder arbeiten in Teilzeit, was einen beruflichen Wandel bedeutet. Jüngste wissenschaftliche Studien konnten zudem nachweisen, dass es bei Vätern auch zu einer Umstrukturierung des Gehirns kommen kann.

Anders als bei Müttern, bei denen die Veränderungen automatisch hormonell angeregt werden, „müssen“ Väter Zeit mit ihrem Baby verbringen, damit die Veränderungen des Gehirns hormonell angeregt werden. Das passiert übrigens auch bei anderen Erwachsenen, die viel Zeit mit einem Baby verbringen, zum Beispiel Großeltern oder Adoptiveltern. Es gibt also auch eine Vatertät!

Vielen Dank für euer Buch und danke dafür, dass ihr euch die Zeit genommen habt, meine Fragen zu beantworten!

Mein Fazit:

Svenja Krämer und Hanna Meyer haben mit Muttertät„* ein Buch voller wissenschaftlicher Informationen geschrieben, dass dennoch leicht und kurzweilig zu lesen ist. Wie gerne hätte ich dieses Buch schon vor acht Jahren während meiner ersten Schwangerschaft gelesen. Es hätte so vieles erklärt und erleichtert, was mich als Mutter belastet und verunsichert hat!

Muttertät - Wenn sich plötzlich alles anders anfühlt - Buchcover

Über das Buch:

Mit Expertinnenmeinungen von der Hebamme Jana Friedrich und Mütterpflegerin Tanja Heinrich

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